Interview mit Monika Supé

Thema des Wettbewerbs ist der menschliche Körper. Ist der menschliche Körper ein zentrales Thema Ihres Oeuvres, oder wäre das eigentlich eher der geometrische Körper?

Mich interessieren so abstrakte Begriffe wie Raum und Zeit. Da wir Erkenntnisse zu beidem nur über unsere Sinne, also über unseren Körper gewinnen können, rückt für mich automatisch der menschliche Körper in den Fokus. Raum erkennen und beschreiben wir nur über seine Begrenzungen. Diese ergeben sich in unserer Umwelt über natürliche Beschränkungen, wie den Boden und Erhebungen, aber auch durch Körper jeglicher Art, wie Gebäude und Wände, aber auch durch den menschlichen Körper. 

Raum wird ganz unterschiedlich definiert, je nachdem welche Disziplin sich zu ihm äußert, wie etwa die Mathematik, Physik, Psychologie, die Philosophie oder die Sozialwissenschaften. Deswegen ist Raum – und damit auch Körper – für mich viel mehr, also eine Beschreibung geometrischer Ausdehnung. Und deswegen interessieren mich der menschliche Körper ebenso wie der Raum, der zwischen Körpern als Distanz entsteht, derzeit mehr als das rein Geometrische.

Ihre Arbeit EXUVIA 4 zeigt drei ineinander übergehende Körperfragmente und ist aus gehäkeltem Draht hergestellt. Fasziniert Sie das Prinzip der Fortsetzung oder der Serie?

Oft fallen mir viele Aspekte zu einem Thema ein. Deshalb arbeite ich oft in Serien. Exuvia 4 ist eine von bislang 4 Arbeiten, in denen ich mich mit der Verwandlungsmöglichkeit innerhalb unserer Existenz beschäftige. Exuvia ist die Bezeichnung für die abgestreifte Haut von Häutungstieren. Auch der Mensch häutet sich, nur nicht so spektakulär im Ganzen wie zum Beispiel eine Schlange.

Das Prinzip der Fortsetzung ist meiner Arbeitsweise immanent vor allem in Werkgruppen, in denen ich Draht verhäkle oder Maschenwerk zeichne. Nur durch die Aneinanderreihung kleinster immer gleicher Einzelschritte ergibt sich das Gesamte.

Wie kann man die Arbeit einordnen: als Skulptur, Plastik, Installation?

Alle drei Begriffe treffen es nur zum Teil. Für mich passt der Ausdruck »Plastische Grafik« am besten, es handelt sich um eine installierte, räumlich gewordene Zeichnung, die ohne Trägermaterial, wie Papier, auskommt.

Monika Supé
EXUVIA 4 (2015)
Gehäkelter Draht, 260 x 95 x 95 cm
(c) Monika Supé

Das Werk gewann den ersten Preis des Kunstwettbewerbs der mSE Kunsthalle zum Thema DER MENSCHLICHE KÖRPER 

Jede Ihrer Figuren und Ihrer Zeichnung hat einen sehr spezifischen Ausdruck, dennoch zeigen Sie meist (es gibt auch eine Porträtserie) keine Individuen und sparen den Kopf aus. Ist das Allgemeine am Individuum für Sie künstlerisch besonders interessant? Oder lässt sich das Individuelle besser indirekt thematisieren?

Wenn wir jemanden ansehen, dann suchen wir bewusst das Gesicht, vor allem die Augen, auch wenn wir unseren Blick zudem über den Körper schweifen lassen. Das Gesicht steht eindeutig für eine bestimmte Person. Deshalb fehlen Kopf und Gesicht häufig in meinen Arbeiten, denn sie würden das Dargestellte eindeutig zuweisen. Ich möchte, dass der Betrachter sich mit dem, was er sieht, in Bezug setzen kann, ohne abgelenkt zu werden durch eine Personalisierung.

Trägt Ihr Werk – umgekehrt – autobiografische Züge? Erzählt es Geschichten?

Trägt nicht alles irgendwie autobiographische Züge? Ich glaube, man »erkennt« etwas im Gegenüber nur, wenn man es bereits kennt, sich also zu etwas in Bezug setzen kann. Dies gilt für den Macher, wie auch für den Betrachter.
Die Arbeit zeigt drei verbundene Fragmente von weiblichen Körpern. Diese stehen für mich für familiär verbundene Personen, die das Potential zur Weiterentwicklung haben, sofern sie es nutzen.

In verschiedenen Epochen markiert der menschliche Körper oft prominent das herrschende Selbstverständnis des Menschen (etwa als Tempel des Heiligen Geistes, als mechanischer Apparat oder als best-angepasster Erbgutträger). Gibt es zeitgenössische Körperbilder, die Sie (auch außerhalb des Oeuvres) besonders beschäftigen?

Mich interessiert die Haltung des 21. Jahrhunderts, den menschlichen Körper formen, disziplinieren und das, was er bewerkstelligen kann, ständig erweitern zu können. So wird er Klischees angepasst, manchmal auch bis zur Unkenntlichkeit verändert. Mit zeitbedingten natürlichen Veränderungen dagegen scheinen wir weniger gut klar zu kommen.

Ihre Arbeiten scheinen für eine politische Deutung insbesondere für einen feministischen Blick auf den Körper sehr fruchtbar zu sein. Beschäftigen Sie sich mit diesen Theorien?

Ich bin oft überrascht über eine solche Deutung, diese ist mir selbst gar nicht so naheliegend. Allerdings finde ich das auch spannend und sehe das offen. Auch finde ich, dass Interpretationen ähnlich wie die Schönheit im Auge des Betrachters liegen. Deshalb interessieren mich Diskussionen, die sich aus Interpretationen ergeben, solange mir selbst keine bestimmte Haltung nachgesagt wird, die ich nicht habe.

Monika Supé
EXISTENZ 4 (2018)
Bleistift auf Papier
60 x 84 cm
(c) Monika Supé

Entwickeln Sie Ihre Werke aus der Wiederholung und Variation einer kleinen Einheit, beginnen Sie also mit einer ersten Masche und sehen ihnen bei der Entstehung zu, oder entwerfen Sie zuerst einen Plan der ganzen Skulptur? – Anders gefragt: Wie sehr verändern sich die Werke im Entstehungsprozess?

Ich denke, da bin ich ganz Architekt. Die Idee, das Konzept ist vorher da. Allerdings gibt es keinen Bauplan, dieser besteht lediglich im Kopf. Nachdem der Draht nicht aufgetrennt werden kann, muss jede Masche sitzen. Das Objekt kann sich während des Entstehens nicht oder nur unwesentlich verändern. Es wächst also einem Strumpf ähnlich Reihe um Reihe von der Zehe immer weiter, das Wachsen kann nur über Zu- und Abnehmen von Maschen gesteuert werden.

Wiederholung und Variation könnte man als Grundprinzipien der Entwicklung des Lebens auf der Erde verstehen. Ist eine solche Assoziation für Ihre Werke bedeutend? 

Unbedingt. So wie Zellen zu einem großen Ganzen werden, werden es hier die einzelnen Maschen. Besonders interessiert mich die Ablesbarkeit des Schaffensprozesses. Er ist eindeutig linear, mit den Augen kann der Betrachter diesen Prozess Reihe um Reihe ablesen.

So erscheint uns auch unser Leben: es generiert sich linear bis zu unserem Ende. Dies thematisiere ich auch in Zeichnungen, die ebenfalls Maschenstrukturen zeigen. Sie gehören deshalb zur Serie mit dem Titel: »ist Zeit linear?«. Diese Frage bezieht sich auf Erkenntnisse der Physik, die das Phänomen Zeit als etwas Wellen-artiges beschreiben.

Zwar schimmert das Metall, das Sie für Ihre Skulpturen verwenden, in verschiedenen Farbwerten, insgesamt scheint Ihr Werk aber vor allem von der Form definiert. Vermissen Sie zuweilen die Ausdrucksmöglichkeiten der Farbe – oder ist es ein bewusster Verzicht?

Ich denke oft über den Einsatz von Farbe nach. Die Handlungsmöglichkeiten sind ja so unendlich groß, deshalb habe ich bewusst Spielregeln getroffen und meine »Spielwiese« eingeschränkt. Solange nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft worden sind, mache ich entsprechend meiner Regel – keine Farbe außer die des Materials einsetzen – weiter. Erst danach ändere ich meine Regeln.

Monika Supé
EXUVIA 1–3 (2014)
(c) Monika Supé

Die Werke scheinen, vielleicht gerade, weil man den langen zeitlichen Prozess der Herstellung sehen kann, als Ergebnis der Zeit enthoben. Sehen Sie die Kunst (oder Ihre Kunst) eher als Stimulans, oder als Einladung zur Entschleunigung? Wie viel Zeit braucht ein Betrachter, um sich mit einem Werk zu beschäftigen?

Für mich persönlich erzwinge ich während des Schaffungsprozesses eine bewusste Entschleunigung. Diese ist oftmals schwer auszuhalten, wo wir doch alle von der Notwendigkeit einer Beschleunigung diverser Prozesse ausgehen. Für den Betrachter mag sich das abzeichnen, die Intensität oder der zeitliche Umfang einer Auseinandersetzung steht ihm natürlich frei.

Wie geht der ideale Betrachter mit einem Kunstwerk um?

Oftmals sehe ich Ausstellungsbesucher, die sich bei der Betrachtung in Bewegung setzen, vor und zurück wippen und in gewisser Weise anfangen, mit sich und ihrer Wahrnehmung zu spielen.
Vor ihrem Auge verschieben sich dann die verschiedenen Schichten der durchsichtigen Strukturen. Diese Strukturen gleichen Schraffur-Schichten in Zeichnungen. Und hier schließt sich der Kreis zu dem Begriff »Plastische Grafik«.

Sie arbeiten in vielen verschiedenen Kunstgattungen, unter anderen in der Skulptur, der Zeichnung, der Fotografie, dem Prägedruck und der Installation. Wie gehen Sie vor, wenn Sie ein Werk in einer neuen Gattung schaffen?

Ich suche während der Entwicklung einer neuen Idee oder eines Projekts immer die bestmögliche Form der Umsetzung, also die bestmögliche Ausdrucksform. Allerdings entsteht auch manches im Experiment: Objekte, die zum Hineinschlüpfen animieren, werden auch getestet. Solche Tests wiederum lassen sich dokumentieren, so ist zum Beispiel die Idee zu einer Performance mit einer Tänzerin entstanden.

Sie arbeiten nicht nur als Künstlerin, sondern seit vielen Jahren auch als Dozentin/Akademikerin und Architektin. Bereichert das Ihr Werk? Was kann die Kunst aus der Wissenschaft und der wissenschaftlichen Arbeit lernen?

Die verschiedenen Facetten meiner Biografie haben mich immer geprägt und weiter gebracht. Aus einer Architektenfamilie kommend, habe ich schon als Kind viel gezeichnet, mein Studium hat mich notgedrungen auf das Thema Raum gestoßen und wahrscheinlich auch mein räumliches Vorstellungsvermögen beeinflusst. Meine Tätigkeit als Dozentin im Gestaltungsbereich hat mich aufmerksam werden lassen auf das Thema des visuellen Wahrnehmungstrainings – dem Thema meiner Dissertation. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung und daraus resultierende Erkenntnisse zur menschlichen Wahrnehmung hat sich wiederum ausgewirkt auf die Kunst.

Monika Supé
ALLES EINE FRAGE DER PERSPEKTIVE 4 (2015)
(nach einem Stick von René Boyvin, nach Rosso Fiorentino)
Draht, MFD, Acryl, LED-Spot
80 x 75 x 25 cm
(c) Monika Supé

In mehreren Werken lassen Sie große Gemälde der Kunstgeschichte als Schatten entstehen – vorausgesetzt das Licht trifft in einem bestimmten Winkel auf das Relief. – Mit welchem Blick sollten wir in die Kunstgeschichte schauen? Wie sollten wir sie ausleuchten? Was können wir dort sehen?

Jeder betrachtet alles aus seinem persönlichen Blickwinkel, auch wenn wir immer einer kulturellen und sonst wie gearteten Prägung unterliegen. Deshalb kann ich die Frage danach, was wir sehen, wenn wir in die Kunstgeschichte blicken, nur persönlich beantworten:

In den Arbeiten der Gruppe meiner Schattenzeichnungen habe ich bewusst Werke großer Meister verschiedener Epochen zitiert. Zum Beispiel in der Serie »alles ist eine Frage der Perspektive« Werke von Reni, Rembrandt, Münzer, Boyvin und Fiorentino, die jeweils den Raub der Europa dargestellt haben, allerdings in ganz unterschiedlicher Weise. Mal erscheint Europa verängstigt, mal gleicht der Stier eher einem harmlosen Kalb, mal beugt sich Europa nackt und lasziv über einen potenten Stier. Dies war für mich die passende Antwort auf die Frage, welche Vision man heute zu Europa als Staatenübergreifendes Konstrukt haben kann. Denn es wird wohl so viele Visionen wie Betrachter geben. Und dementsprechend verschwindet auch Renis, Rembrandts oder Münzers Europa und wird zu etwas anderem, wenn der Beleuchtungswinkel verändert oder das Licht ganz ausgeschaltet wird. 

Interview von Andreas Pawlitschko