Wolfgang Beltracchi, 2018
Soprano naturale
Handschrift: Caravaggio, 1595, Rom
Öl auf Leinwand, 101 x 61 cm
»Der Kastrat war eine genuin barocke Figur, im vollen Sinne des Wortes. In dieser Kultur der Übertreibung stellte er keine leere, asexuelle Quelle stimmlicher Virtuosität dar, sondern vielmehr die sensationelle Übertreibung des idealisierten Geliebten und den mutmaßlichen Diener der Sinnlichkeit. Nicht ganz männlich zu sein – was den Körper oder das Verhalten betrifft – bedeutete, besonders empfänglich für die Liebe zu sein. Es war ein Zeitalter, das Künstlichkeit schätzte. Der Junge, den die Natur geschaffen hatte, wurde durch seine entstellende Operation zu etwas transformiert, das als betörender galt als bloße Schöpfungen der Natur. «
Associate Professor Dr. Roger Freitas, Eastman School of Music, Rochester
In mehreren seiner frühen Gemälde bezieht sich Caravaggio auf die Musik seiner Zeit, wenn er Sänger und Musiker darstellt. In Italien entwickelte sich um 1600 die Barockmusik. Innig verbunden mit der Ausbildung neuer musikalischer Formen war die Praxis der Kastration von Sängern, die sich zur selben Zeit ausbreitete. Bis ins 20. Jahrhundert wurden tausende Knaben, meist Kinder armer Familien, für die Kunst kastriert. Die Sublimation der Lust, wie sie in der Barockkunst bejubelt wurde, ist hier in den Körper eingeschnitten. Die Kunst besaß in früheren Zeiten einen höheren Stellenwert als das historisch junge Recht auf körperliche Unversehrtheit.