Wolfgang Beltracchi, 2018
Boulevard des Capucines 15 avril 1874
Handschrift: Claude Monet, 1874, Paris
Öl auf Leinwand, 119 x 88,5 cm

»Als erste Fotografie eines lebenden Menschen gilt der berühmte Blick auf den geschäftigen Pariser Boulevard du Temple von Louis Daguerre aus dem Frühjahr 1838. Durch die rund 10 Minuten Belichtungszeit der Daguerreotypie verschwanden jedoch nahezu alle bewegten Großstädter wie von Gespensterhand. Das Gemälde in der Handschrift Monets ist eine Ant-wort auf Daguerres Kameraauge im Medium der Malerei, indem es das bunte Treiben der Passanten vor dem wohl wichtigs-ten Atelier für Fotografie, dem Studio Nadar am Boulevard des Capuchines, mit seinem eigenen Auge, dem des Impressio-nismus inszeniert. In seiner frontalen Darbietung des Gebäudes spielt es zudem auf die Technik der Messbildfotografie an, lässt diese aber in der flirrenden Atmosphäre der Metropole aufgehen. Über der Werbetafel Nadars ist einer jener Luftbal-lons eingefangen, mit denen der Fotograf die Welt neu zu vermessen suchte. Wie Nadar selbst die Impressionisten förderte, so konnten diese, und mit ihnen Claude Monet, anhand der Möglichkeiten der Fotografie die eigenen Mittel und Sichtweisen reflektieren, ohne dass sie zusammenfielen. Aus der oftmals beschworenen Konkurrenz zwischen Fotografie und Malerei ist mit dieser Darstellung ein Bekenntnis der Sympathie geworden: ein Stimmungsbild des Ensembles beider Medien am Beginn der klassischen Moderne.«

Prof. Dr. Horst Bredekamp, Humboldt-Universität zu Berlin

Der Karikaturist, Autor, Ballonfahrer und Fotograf Félix Tournachon, genannt Nadar, gehört zu den schillernden Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts. In Paris war er mit der Bohème und den führenden Intellektuellen bekannt und porträtierte alle, die Rang und Namen hatten, in seinem Fotostudio am Boulevard des Capucines. Dort richtete er 15. April 1874 die erste Impressionisten-Ausstellung aus. Monet war schon zuvor bei ihm zu Gast gewesen, um den Boulevard zu malen. In Beltracchis Gemälde wird der Blick umgekehrt: Das berühmte Atelier ist zu sehen, über dem ein Ballon im Himmel steht. Damit wird eine Sichtweise auf den Impressionismus deutlich: Er kann im Bildaufbau und in seiner Methodik als Auseinandersetzung mit dem neuen Medium der Fotografie verstanden werden.