Wolfgang Beltracchi, 2018
Visite dans le café de nuit
Handschrift: Vincent van Gogh
Öl auf Leinwand, 92 x 77  cm

»Die Trennung von Herz und Geschlecht führt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem hygienischen Diskurs über die körperliche Liebe. Das patristische Register, das ein pathetisches, eines des Leidens und Erleidens und auch eines des Kampfes ist, weicht einem modernen Register, das eine Nachfolgeformation der antiken Selbstsorge, der cura sui, darstellt. In ihr geht es nicht darum, die Sexualität loszuwerden oder zu sublimieren, sondern sie zu verwalten. Nicht Versuchung und Kampf, sondern Disziplin ist gefragt. Begehren hat mit Liebe nichts zu tun; unabhängig vom Objekt wird es als Funktion des männlichen Körpers betrachtet. Das Bordell ist der Ort dieser Hygiene.«

Professor Barbara Vinken, Ludwig-Maximilians-Universität, München

Die nüchterne Bordellszene gemahnt an die geradezu staatstragende Rolle der Prostitution im 19. Jahrhundert. 1802 wurde sie vom französischen Staat legalisiert. Jenseits von Klischees des Begehrens hatte die Kunst jene Rolle aber nicht in den Blick genommen. Gauguin, der 1888 bei van Gogh in Arles lebte, sitzt im kargen Salon und mustert eine Prostituierte – damit entsteht zugleich ein Porträt des Künstlers, das sonst im OEuvre van Goghs fehlt. Das Bordell war für van Gogh eine bedeutende Institution. 1888 äußerte er sich allerdings durchaus pragmatisch über die Sexualität. Es galt, sie als einen Bereich des Lebens zu verwalten. Der Staat hatte ganz ähnlich gedacht.