Wolfgang Beltracchi, 2018
Desaster
Handschrift: Max Ernst, 1947, Sedona
Öl auf Leinwand, 90,5 x 120,5 cm

»Als Folge des exponentiellen Bevölkerungswachstums im 19. Jahrhundert begann weltweit eine verzweifelte Suche nach alternativen Quellen für Dünger. Fritz Haber fand eine Quelle mittels der Chemie, sie ermöglichte es ihm, Düngemittel aus der Luft zu extrahieren. Seine Entdeckung bestand in einer Reaktion, die Stickstoff und Wasserstoff mithilfe von Metall-Katalysatoren in Ammonium umwandelt und deren Produktionsrate von Carl Bosch mit Hochdruck-Reaktionsgefäßen auf industriellen Maßstab gesteigert wurde. Das Verfahren wurde im Vorfeld des Ersten Weltkriegs zur Hauptquelle für Düngemittel. Es gibt jedoch eine Schattenseite des Haber-Bosch-Verfahrens; es sollte auch zur Herstellung von Munitions-Nitraten dienen und dieselben Menschen töten, die es vor dem Hungertod gerettet hatte. Der schmale Grat zwischen Wohltat und Zerstörung löste sich am 21. September 1921 auf, als es im Werk Oppau, nahe Ludwigshafen, zu einer Explosion kam, die über 500 Arbeiter tötete. Heute liefert uns das Haber-Bosch-Verfahren noch immer beides: Düngemittel und Sprengstoffe. «

Professor Tim Osswald, University of Wisconsin–Madison

Die ambivalente Betrachtung der Zivilisation, wie sie sich zwischen Ruinen und Vegetation entfaltet, ist ein zentrales Thema im Werk von Max Ernst. Der Surrealist setzte sich eingehend mit Freud auseinander, besonders rezipierte er dessen kulturtheoretische Schriften. Die Explosion des BASF-Werkes in Oppau zeigt beispielhaft das Zerstörungspotenzial des Fortschritts. Der Mensch hatte es geschafft, Düngemittel in bislang ungekanntem Ausmaß herzustellen. Der Hunger war damit aber nicht besiegt. – Beltracchi greift in seinem Gemälde zudem eine weitere Explosion auf. Sie ereignete sich 1947, als Ernst in Amerika lebte, im Hafen von Texas City. Ein mit Ammoniumnitrat beladenes Schiff explodierte aus ungeklärter Ursache, über 500 Menschen starben. Die Reihe von Ammoniumnitrat-Explosionen setzt sich bis in die Gegenwart fort.