Papierarbeiten von Maria Popp

Bis 9. August zeigt die mSE Kunsthalle drei Papierarbeiten der Künstlerin und Kulturpädagogin Maria Popp. Die Werke weisen den Entstehungsprozess als Schichtung beschriebener, bemalter, überarbeiteter Lagen auf und erinnern an die Geschichte des Mediums Buch, das auch als auratisches Objekt an die Rezipienten herantritt. Das Material der Werke erweckt den Anschein von Lebendigkeit und Tiefe, besonders im Kontrast zu den sauberen, einfach gefertigten Sockeln.
Die Parallelen von Buch und menschlichem Körper sind für die Künstlerin, die sich regelmäßig dem Aktzeichnen widmet, wichtig. Schon die Haptik und Färbung des Papiers erinnert an die menschliche Haut. Mensch und Buch teilen sich ihre raumzeitliche Präsenz und Gefährdung. Noch darüber hinaus können die Arbeiten, etwa in Hinblick darauf, wie Einheit entsteht und zerfällt, Assoziationen wecken und Parallelen aufzeigen und spannen so einen weiten Bogen durch die Kulturgeschichte von „Zufall“ bis „Altamira“.

Das „Dreieckige Ringbuch“ kommt ohne rechte Winkel aus – nur seine Hülle hegt das Werk wieder ins gewohnte Raster ein – und unterstreicht den Status des Buches als räumliches Objekt, das sich im Aufbau wie eine Raupe über den Sockel wölbt. Die Ringe könnten Anlass zur Frage geben, wie der Zusammenhang – sowohl seiner Seiten als seiner Überlieferungsgeschichte – entsteht.

Der „Sterbende Niobide“ ist eine spätklassische Skulptur, die einen Sohn der Niobe im letzten Moment seines Todeskampfes zeigt. Die Künstlerin hat die Marmorskulptur in der Münchner Glyptothek wieder und wieder in Skizzen untersucht. In ihrem Leporello gewinnen die Skizzen durch Staffelung und Überlagerung erneut lebensgroße Plastizität und verdeutlichen zugleich, dass das Buch auch ein zeitliches Medium ist.
(Foto der Künstlerin)

In „Auflösung“ scheint das Leporello begriffen, das auf einer Seite Zettel in verschiedenen Verfallszuständen schichtet, während die Schrift auf der Rückseite gegen das Vergessen und den Fraß der Zeit anzukämpfen scheint. Anscheinend werden im kostbaren Schuber bald nur mehr einzelnen Blätter verwahrt sein. Das Buch ist vom Verfall nicht minder bedroht als der Mensch.
(Foto der Künstlerin)
Fragen an die Künstlerin
Schreiben Sie Tagebuch?
Ja, ich schreibe Tagebuch, nicht regelmäßig, aber phasenweise sehr viel.
Hängt das mit dem künstlerischen Schaffensprozess zusammen?
Nur mittelbar: Im Tagebuch geht es um das Thema Wahrnehmung an sich, was ins künstlerische Gestalten mit einfließt.
Lesen Sie ihre alten Tagebücher wieder?
Selten.
Ihre Arbeiten stellen besonders deutlich einen langen Schaffensprozess aus: Ist der wichtiger als das Ergebnis?
Das kann man so nicht sagen. Keines ist ohne das andere denkbar, beides ist ungefähr gleichwertig. Man reagiert auf Zwischenergebnisse, die den Arbeitsprozess wieder beeinflussen. Wenn andererseits von vornherein klar wäre, dass nichts übrigbliebe, würde man nicht beginnen. Es kommt aber auch vor, dass ich das Ergebnis verwerfe. Das muss nicht heißen, dass das Projekt gescheitert ist. Es geht mir um eine Entwicklung der Wahrnehmung und der Umsetzung.
Sie widmen sich regelmäßig dem Aktzeichnen, wo auch der Prozess und die Wiederholung im Mittelpunkt zu stehen scheinen, nicht die Anfertigung einer Sache: Kunst als Einübung?
Ich tue mir schwer damit, mich als Künstlerin zu bezeichnen. Die Einübung und die Weiterverarbeitung sind für mich das Entscheidende.
Das Buch „Sterbender Niobide“ collagiert Skizzen einer spätklassischen griechischen Skulptur, die eine Figur der noch bedeutend älteren Mythologie abbildet – wie geht man mit dem Erbe um?
Speziell dieses Motiv wurde in der Kunstgeschichte viel bearbeitet. Jeder Mensch kann mit dem Erbe aus seiner Sicht neu umgehen. Die Figur wirkt auf mich wie ein Filmstill: Sie hält in der Körperspannung der Figur eine Bewegung fest, den letzten Augenblick des Sterbens. Ich sehe ein sehr großes technisches Können darin, wie das gelingt.
Ist das Ihre liebste Figur in der Glyptothek?
Ja.
Es inspiriert sie, die alte Meisterschaft mit den Augen des Kinos neu zu sehen?
Ja.
Fangen Ihre Werke den letzten Augenblick im Todeskampf der Buchkultur ein?
Ach, …
In den Buchhandlungen scheint die Ecke, in der Bücher zum Selberschreiben verkauft werden, anteilig immer größer zu werden.
Kreatives oder experimentelles Schreiben hat auf jeden Fall seine Berechtigung, auch die Biografie- oder Poesie-Alben, mit denen die Großmutter befragt wird, haben einen Wert, wo es um persönliche Beziehungen in Familien geht. Andererseits: Ein literarisches Werk zu schreiben, über Jahre hinweg, ist eine besondere Leistung, das Herzblut, die Begabung, das Leiden daran. Die Wertschätzung dafür wird durch den Impuls „Ich kann das auch“ womöglich aufgeweicht. Das kann mit dem Verlust von Vorbildern und tradiertem Bildungsanspruch als Selbstzweck zu tun haben. Als Kulturpädagogin erlebe ich in meiner Arbeit, dass es eine tiefe Begeisterung, nicht nur für das Schaffen, sondern auch für das Entdecken gibt, wofür wir die Tradition immer wieder neu aufsuchen.
Ein oft genannter Grund, warum wenig Bücher gelesen werden, ist, dass man es nur still und allein tun kann. Wie sieht vor diesem Hintergrund Ihr Arbeitsprozess aus?
Das kreative Schaffen, Malen, Zeichnen, hat viel mit Alleinsein und Stille zu tun, braucht große Zeitspannen, Stunden, die durchaus ohne Ergebnislos vergehen können. Ich komme mit Einsamkeit und Stille überdurchschnittlich gut zurecht.
Texte und Fragen Andreas Pawlitschko