Poesie per Pinselstrich

Englische Romantik

Erste Hälfte des 19. Jahrhunderts

Englische Romantik: Turner entdeckt die Wirkung des Lichts

Woher kommen wir, wie entwickelte sich das Leben auf der Erde? Auf diese zentrale Frage der Menschheit findet Charles Darwin auf seiner fast fünfjährigen Schiffsreise im 19. Jahrhundert eine Antwort, die das herrschende Weltbild umkrempeln wird. Er entdeckt, dass Arten sich ihrer Umwelt anpassen und dabei immer komplexer entwickeln. Damit widerspricht Darwins moderne Evolutionstheorie der Schöpfungsgeschichte, nach der Gott alle Wesen nach ihrer jetzigen Art und den Menschen nach seinem Ebenbild geschaffen hat und markiert den Beginn einer neuern Weltanschauung. Zur gleichen Zeit in England lebt der Maler William Turner. Wie Darwin steht er für den Aufbruch zu neuen Sichtweisen und für die Hinwendung zur Natur. Im Londoner Elite-Club »Athenaeum« sind sich die beiden Männer begegnet.

Die Romantik findet ihren Ursprung in der englischen Literatur, die sich von der Vernunftorientierung der Aufklärung abwendet und der Natur und Gefühlswelt hingibt. Die Landschaft als unberührte und weltabgewandte Szenerie beschäftigt Dichter wie Blake und Wordsworth. Sie beeinflussen auch die Maler, die in Landschaftsmotiven und Seestücken ihren neuen Schwerpunkt finden und mit Farbwirkungen experimentieren. Der berühmteste Künstler der englischen Romantik ist William Turner, der »Entdecker der Stimmungslandschaft«. Bei ihm beginnt die Farbe, sich gegenüber der Form zu emanzipieren. Konturen lösen sich auf, Flächen verwischen und formen eine weitere Dimension. Reliefartig setzten sich Farben über Form hinweg und lassen doch Raum für detaillierte Szenen. Schon lange vor den Impressionisten hebt der Künstler darauf ab, die Wirkung seiner Motive unter bestimmten Lichtverhältnissen zu vermitteln. Turner ist ein Wegbereiter für die Kunst, so wie sein Zeitgenosse Darwin ein Wegbereiter für die Naturwissenschaften ist.

Beltracchi malt in der Handschrift von William Turner
Pastellige Farben, schemenhafte Konturen, dazwischen feine Details – Wolfgang Beltracchi legt in der Handschrift von William Turner das Bild von der HMS Beagle im Hafen von Devonport an.

Aufbruch in eine andere Welt

Am 27. Dezember 1831 sticht die HMS Beagle in See. Der Zweimaster umsegelt auf seiner fast fünfjährigen Reise die Welt, im Auftrag, die Küsten Südamerikas zu kartographieren. An Bord ist der junge Charles Darwin, der aus dem gesammelten Material seiner naturwissenschaftlichen Beobachtungen die Evolutionstheorie entwickeln wird. Zurück in London verschafft ihm die Forschungsreise Zugang zum Athenaeum Club, in dem sich trifft, was Rang und Namen hat. Darunter auch der Maler William Turner, der für sein Interesse an den Naturwissenschaften bekannt ist. Der Forscher und der Künstler treffen in diesem Zirkel vermutlich aufeinander und Turner erfährt von Darwins Beobachtungen und Schussfolgerungen, die zunächst für Empörung sorgen. Intensiv diskutiert er daher seine Evolutionstheorie, bevor er sie im Jahr 1859 veröffentlicht.

Heute wissen wir, dass Charles Darwin den wohl größten Durchbruch für unser modernes Verständnis von der Entstehung und Entwicklung des Lebens erzielt hat. Die Abfahrt der HMS Beagle ist daher rückblickend der Aufbruch zu einer neuen Weltanschauung. Wie hätte William Turner diesen Moment gemalt? Wolfgang Beltracchi geht der Frage mit einem Bild in der Handschrift Turners nach. Die Maltechnik des englischen Künstlers wies bereits in die Moderne. Pastos aufgetragene Pastelltöne fließen ineinander, werden teilweise von kräftigen Farbakzenten und Umrissen unterbrochen. Beltracchi orientiert sich an Seestücken Turners. In dessen künstlerischer Handschrift trägt er Farbenschichten auf, modelliert sie zu Form und Licht und lässt die »Beagle« unter einem leuchtenden Himmelsbogen Kurs nehmen auf die Neue Welt. Am Horizont verliert sich ein zweites Schiff bereits im Licht.

Vorstudien von Wolfgang Beltracchi

In diversen Vorstudien skizziert der Künstler in Aquarellen den möglichen Bildaufbau bis Form und Licht im Einklang sind.

Beltracchi im Atelier

Wolfgang Beltracchi nimmt die von überflüssigem Öl getrennte Farbe mit einem Spachtel auf.

Beltracchi arbeitet am Gemälde

Das Material wird mit Spachteln, Messern, Lappen, Pinselstielen bearbeitet und fast trockenes Material wird mit den Fingern modelliert, um die Körperlichkeit in Turners Handschrift wiederzugeben.

Entwicklungsstufe des Gemäldes
Die ersten kräftigen Farben blitzen durch den überwiegend pastellfarbenen Hintergrund. Diese Form von Highlights gehören zur Handschrift William Turners.

Englische Romantik

John Constable und William Turner sind die wichtigsten Vertreter der englischen Romantik. Das vorherrschende Thema ist die Landschaft, technisch wird es jedoch sehr unterschiedlich umgesetzt.

1. Träumerisch

Jede Landschaft wirkt perfekt. Denn die Romantik kennt keinerlei dokumentarischen Anspruch. Sie schafft Traumwelten, komponiert aus Skizzen und eigenen Vorstellungen.

2. Lichtermeer

In der Romantik werden erstmals gezielt Farben als Mittel eingesetzt, um eine mystische, unheimliche oder melancholische Stimmung zu erzielen. Die damit erzeugte Atmosphäre entführt den Betrachter in eine ferne Welt, weit weg vom realen Leben.

3. Ritterlich

Der Begriff »romantisch« stammt vom französischen Wort »roman«, das auf die volkssprachlichen Ritterromane des Mittelalters zurückgeht. Die neue geistige Strömung der Romantik wählte dieses Label um sich vom Antike-Bezug der Klassik abzugrenzen.

4. Aufwertung des Aquarells

Die Aquarellmalerei gab es schon im alten Ägypten. In späteren Epochen malten die Künstler Aquarelle meist zu Studienzwecken, wie zum Beispiel Dürer oder Rembrandt. Breite Anerkennung erlangt die Technik erst durch William Turner, der Aquarelle als eigenständige Werke ansah.

5. Freiheit der Technik

Die Künstler der englischen Romantik widmen sich ähnlichen Motiven auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Constable wechselt von einer naturalistischen Technik zu einer Malweise, die besonders den Pinselduktus in den Vordergrund stellt. Turner legt mit seiner immer fortschreitenden Entmaterialisierung des Motivs den Grundstein für die Moderne.

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