Lois Anvidalfarei

 Triptychon
Bronze
Leihgabe des Künstlers

Auf den ersten Blick scheint Lois Anvidalfareis »Triptychon« einen zerstörten menschlichen Körper abzubilden: an den Beinen aufgehängt, der in den Nacken überstreckte Kopf in der Frontalansicht kaum sichtbar, die abgerissenen Arme links und rechts daneben, die Oberfläche von Schrammen versehrt, ein brutales Werk, ein Ausdruck der Gewalt, der verstört, statt Mitleid zu erregen.

Die Betrachtung kann aber auch umgekehrt werden, sodass das »Triptychon« nicht als Werk der Zerstörung, sondern als Werk der Gestaltung und Konstruktion gelesen wird. Nicht ein zerrissener Mensch, sondern drei vollständige Körper (im physikalischen Sinne) aus Bronze sind mit drei Eisenstangen und einem Seil in einem würfelförmigen Holzgerüst von drei Metern Seitenlänge befestigt. Die bewegte, furchenreiche Oberfläche der Bronze zeigt die Spuren der Gestaltung der gipsernen Gussvorlagen, für die der Künstler jeden Körper eigens und vollständig geformt hat. Die ausgeklügelte Aufhängung mit Seil und gegeneinander verspreizten Eisenstangen lässt die Gebilde mittig zwischen der Rahmung des Würfels schweben.

Für die Arbeit des Künstlers, der sich in seinem gesamten skulpturalen Schaffen dem menschlichen Körper widmet, ist diese schöpferische Richtung entscheidend. Anvidalfarei geht nicht vom lebenden Modell aus, das er dann in eine erstarrte Skulptur überführt (so als wollte man in die Rahmung des Würfels einen toten Formaldehyd-Hai legen), sondern er baut seine Figuren in sorgfältiger Komposition aus Grundformen auf, die sich schließlich dem menschlichen Körper annähern, so als solle der Künstler den Schöpfungsakt, der zum Menschen führt, aus eigener Kraft und Inspiration wiederholen.

Die frühen Werke – das »Triptychon« entstand 1996/97 – zeigen diese eigenständige Komposition in der Oberfläche der Skulpturen und der vergleichsweise starken Abstraktion ihrer Formen, wohingegen sich die jüngeren Werke, von denen einige im Skulpturengarten der Kunsthalle zu sehen sind, einem realistischen Körper immer detaillierter annähern, ohne dass doch auf kompositorische Selbständigkeit, die man etwa an den Proportionen der Körperteile erkennt, und die Versehrungen der Oberfläche verzichtet würde. Die existenzielle, mitunter religiöse Dimension des menschlichen Körpers, die für Anvidalfareis ganzes Oeuvre bedeutend ist, zeigt sich im »Triptychon« im gewaltsamen Ausdruck des Werks und auch in seinem Titel.

Rückansicht des Werks

Das Triptychon als Darstellung in drei Teilen ist in seiner prototypischen Form, dem Flügelaltar, fester Bestandteil der christlichen Kunst. Üblicherweise sind die drei Teile thematisch oder narrativ aufeinander bezogen, so können Haupt- und Nebenfiguren oder Haupt- und Nebenhandlung (auch in zeitlicher Abfolge) auf Haupt- und Nebentafeln verteilt werden. Die von der Form nahegelegte Zusammengehörigkeit und Gewichtung der Darstellungen erlaubt ein komplexes Bildprogramm, bei dem etwa verschiedene biblische Figuren oder Ereignisse zusammengeführt werden, oder wie bei Hieronymus Bosch Himmel und Hölle einen Heuwagen flankieren können.

Für Anvidalfareis »Triptychon« ist der Bezug der Teile scheinbar klar, da die Arme zum armlosen Körper zu gehören scheinen, doch die Größenverhältnisse irritieren die einfache Lesart, man sehe das Resultat einer Zerstörung, und geben den drei Teilen je ein eigenes Gewicht. Die Arme, gehörten sie denn zum Mittelteil, wären überlang, zur weitesten Umarmung, zu größten Taten geeignet; ein Arm kann, betrachtet man ihn recht, fast genauso interessant sein wie der ganze Körper, zumal er das Werkzeug des Künstlers ist. Die Grundform des Triptychons als einer größeren Form, die von zwei kleineren flankiert wird, tritt innerhalb des mittleren Bronzekörpers am Geschlecht und in der Form von Kopf und Schultern wieder auf. Die hoch symbolträchtige Dreizahl findet sich im »Triptychon« als Bronzekörper, Metallstangen und in der Seitenlänge des Würfels als Konstruktions- und Kompositionsprinzip mit dem Menschen in Mittelpunkt, dessen Finger und Zehen sich nach dem Himmel strecken.

Der Künstler

Lois Anvidalfarei wurde 1962 in Abtei in Südtirol geboren. Mit 14 Jahren besuchte er die Staatliche Kunstschule in St. Ulrich im nahegelegenen Grödnertal. Die Bildhauerei, besonders die figürliche Holzschnitzkunst, hat dort eine lange Tradition. 1983 ging Anvidalfarei nach Wien, um bei Joannis Avramidis an der Akademie der Bildenden Künste zu studieren. Ihm verdankt Anvidalfarei seine entscheidende künstlerische Prägung und das Grundthema seines Werks, den menschlichen Körper.

1989 kehrte Anvidalfarei nach Abtei zurück. Bis heute bewirtschaftet er dort den von den Eltern geerbten Bauernhof und arbeitet als freischaffender Künstler. Seit 1994 ist er mit der Dichterin Roberta Dapunt verheiratet. Sie haben zwei Töchter. Anvidalfareis Werke finden sich in zahlreichen öffentlichen und privaten Sammlungen, darunter die Staatliche Graphische Sammlung München, die Graphische Sammlung Rupertinum in Salzburg und das Museo d’Arte Moderna e Contemporanea in Rovereto. 2011 stellte er im Italienischen Pavillon der 54. Biennale in Venedig aus.

Das ist die Geschichte der Entstehung von Himmel und Erde, als sie erschaffen wurden. Zur Zeit, als Gott, der HERR, Erde und Himmel machte, gab es auf der Erde noch keine Feldsträucher und wuchsen noch keine Feldpflanzen, denn Gott, der HERR, hatte es auf die Erde noch nicht regnen lassen und es gab noch keinen Menschen, der den Erdboden bearbeitete, aber Feuchtigkeit stieg aus der Erde auf und tränkte die ganze Fläche des Erdbodens. Da formte Gott, der HERR, den Menschen, Staub vom Erdboden, und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen. (Genesis 2,4—7)