SICHTUNG III

SICHTUNG ist eine begehbare Skulptur von über 30 m Höhe der Künstler Hildegard Rasthofer und Christian Neumaier. Von Oktober 2019 bis August 2020 war sie an ihrem dritten Aufstellungsort, im Skulpturengarten der mSE Kunsthalle, zu sehen. Nach ihrer vierten Station in der Oberpfalz kehrte die SICHTUNG im Mai 2022 nach Unterammergau zurück. Nachdem eine dauerhafte Aufstellung in Unterammergau zum zweiten Mal abgelehnt wurde, hat die Kunsthalle das Werk verkauft.

Das Werk

Aufbau der SICHTUNG

70 Tonnen mobiler Stahl

Die SICHTUNG besteht aus Stahlkuben mit einer Seitenlänge von 2,4 m und einem Stahlkranz an der Spitze. In der Unterammergauer Aufstellung kam sie auf eine Höhe von 32,4 m. Die Kuben werden mit dem Kran übereinander gestapelt und verschraubt. Die Skulptur kann so innerhalb weniger Stunden auf- oder abgebaut und transportiert werden. Sie ist als mobiles Kunstwerk konzipiert. Nicht zuletzt ist sie auch eine beeindruckende Ingenieursleistung.

Treppenhaus der SICHTUNG

Raum- und Klangskulptur

Bewegt man sich im Inneren der Skulptur, erlebt man den umgebenden Raum auf besondere Weise: in vertikaler Bewegung erkundet man das Volumen der Skulptur und betrachtet aus veränderter Perspektive den umgebenden Raum der Skulptur. Zudem erzeugen der Wind, die Geräusche der Umgebung, die Schritte und der Atem eines selbst und der anderen Besucher eine Fülle von Klang.

Rostspuren

Materialität

Der Konstruktionsstahl hat eine veränderliche, vielgestaltige Oberfläche: blank, versehrt, patiniert, verschiedene Stufen der Korrosion. Licht, Wetter und der Blickwinkel der Betrachtung verändern den farbigen Ausdruck des Materials zwischen silberfarben, grau, blau, grün, rot, orangefarben, braun und schwarz. 

Die Künstler

Hildegard Rasthofer, Architektin und Künstlerin, wurde 1968 in Wartenberg geboren und studierte an der Technischen Universität München Architektur. Christian Neumaier, geboren 1965 in Haag, ist Metallbildhauer und Kunstschmiedemeister. Als Künstler arbeitet er mit Hildegard Rasthofer zusammen interdisziplinär im Feld experimenteller Architektur und plastisch-skulpturaler Gestaltung. 

>>Jeder Besucher hinterlässt durch Bewegung in der Skulptur ein spezifisches Klangmuster – eine Klangspur.<<

(Hildegard Rasthofer, Christian Neumaier)

Der Standort

>>Die Skulptur wandert an Orte, an denen sich eine spannungsreiche Wechselwirkung mit der Umgebung ergibt.<<
(Hildegard Rasthofer, Christian Neumaier)

Blick auf den Kofel

Landschaftsinstallation

An ihren verschiedenen Standorten tritt die Skulptur mit der umgebenden Landschaft in einen Dialog. Durch die tiefen Fenster der Skulptur und von ihrer Spitze ergeben sich immer wieder neue Ausblicke, umgekehrt kann die Skulptur von verschiedenen Stellen als Markierung in der Landschaft betrachtet werden. Die Skulptur trägt deshalb einen Index. In Unterammergau, am dritten Standort, den Index III.

Strich in der Landschaft

Markierung

Am ersten Standort in Reithofen hatte die Skulptur in der Kiesebene den Kontrast von Vertikale und Horizontale markiert. Am zweiten Standort im Münchner Kreativquartier wurde sie zur Markierung der stadtbaulichen Entwicklung. Im Skulpturengarten der mSE Kunsthalle stand die SICHTUNG  über dem Pulvermoos zwischen Unterammergau und Oberammergau. Die Hänge der umgebenden Berge überragten den schlanken Quader, was die Weite und die sachten Wölbungen des Tals betonte. Von den Gipfeln aus gesehen, verschwand die SICHTUNG in den Tiefen des Tals, von Oberammergau gesehen wirkte sie oft wie ein schmaler Strich vor der lichten Abendstimmung.

Ausblicke

Ausblicke

Aus der Skulptur blickt man in immer neuer Rahmung auf den Skulpturengarten der mSE Kunsthalle, auf Unterammergau, den Beginn des Altherrenwegs, den Laber, Oberammergau, den Kofel, das Hörnle, auf Dorf, Wald, Wiesen und Moor. Das sachte Schwanken der Skulptur im Wind oder unter der Schwingung von Schritten, oder die Hitze selbst schwacher Wintersonne im Metall gehören zum Ausblick auf die Weite des Tals, dessen tages- und jahreszeitliche Stimmung durch das Kunstwerk besonders anschaulich wird. 

 

Stimmen und Eindrücke

Ich denke, »Sichtung« ist, seinem Titel gemäß, ein wunderbarer Point de Vue. Und das in reziprokem Sinn: es ist ein Objekt zum Sehen und zum gesehen Werden. Es bereichert in doppeltem Sinn die Landschaft.

(Prof. Dr. Rainer Metzger, Akademie der Bildenden Künste, Karlsruhe)

Bildwerke in die Landschaft zu stellen, sie in der Natur wirken zu lassen, ist seit der Antike eine große Aufgabe der Kunst. Die umgebende Natur kann das Bildwerk in seiner Wirkung steigern, andererseits verweist das in der Landschaft aufgestellte menschliche Werk, von wem es auch gemacht sein mag, immer auf die Einzigartigkeit und Größe der Natur. In den Landschaftsgärten der Barockzeit, wie z. B. der Garten der Villa d´Este in Tivoli, wurde dieses Thema zur hohen Perfektion gebracht: Häufiger Wechsel von Licht und Schatten, überraschende Ausblicke in die Ferne und oft der Klang von plätscherndem Wasser sollen die Sinne des Gartenbesuchers reizen.

Die Raum- und Klangskulptur SICHTUNG intendiert Ähnliches und erreicht es mit heutigen, unserer Zeit gemäßen Mitteln. Der elegant proportionierte (Grundriss 2,4 x 2,4m), über 32 Meter hohe und aus 13 übereinander positionierten Kuben bestehende Stahlturm führt den Blick des von außen Betrachtenden automatisch nach oben. Im Turm führt eine enge Wendeltreppe zu dem bekrönenden Aussichtspodest.

Naturgemäß blickt man nach unten, konzentriert sich auf die Stufen, wenn man eine Wendeltreppe hinaufschreitet. Doch in diesem Turm ist es anders: Nach wenigen Schritten öffnet sich ein 48 cm breiter – entsprechend dem Treppenverlauf – von Decke bis zum Boden reichender Einschnitt: Er lässt Licht einfallen und lenkt vor allem den Blick nach außen. Da in jedem Kubus zwei diagonal sich gegenüberliegende Einschnitte sind, blickt man beim Hinaufschreiten wie auch beim Heruntergehen der über 150 Treppen 26 mal in eine andere Richtung der Landschaft, bzw. aus anderer Höhe in die Landschaft. Der ständige Wechsel des Blickwinkels auf eine jeweils nur ausschnitthaft zu sehende Umgebung steigert die Intensität der Wahrnehmung. Da die Metallstufen unter dem Schritt des Einzelnen leicht schwingen und vor allem klingen wird der Turm zum Resonanzkörper der eigenen Bewegungen bzw. all derer, die sich in ihm bewegen.

Ein Bildwerk in der Landschaft, das die menschlichen Sinne stimuliert.

(Prof. Dr. Raimund Wünsche, Ehem. Direktor der Glyptothek und der Staatlichen Antikensammlungen in München)

Es ist, als ob man auf einer Landkarte dezent einen Ort festhalten wollte. Aus der Ferne ist SICHTUNG III weniger Signatur als Markierung, ein Strich in der Landschaft nachgerade. Vor Ort wird SICHTUNG III zu einer körperlichen Erfahrung. Der Blick gleitet an den Außenwänden direkt gegen den Himmel, hat man sich die Skulptur schließlich körperlich erarbeitet und ist durch das Innere erst nach oben gelangt, darf man sich mitten drin und obenauf fühlen, welch Überblick auf das Terrain, welch Aussicht auf die Landschaft!…

(Daniela Gregori, Kunsthistorikerin, Kuratorin)